Der Hamburger Mietenspiegel –
PRO und CONTRA
Wie entsteht er? Gibt es Alternativen?
Der Mietenspiegel ist Ergebnis der Bundesgesetzgebung. Was unter einer „ortsüblichen Vergleichsmiete“ zu verstehen ist, ist im BGB festgelegt: Mietentgelte, die in den letzten Jahren neu vereinbart oder verändert wurden. Ausgenommen von der Erfassung sind preisgebundene Wohnungen. Der Begriff „Mietenspiegel“ ist also eigentlich irreführend; denn die Mieten, die unverändert blieben, werden nicht einbezogen. Da Veränderung meist Erhöhung bedeutet, werden durch die regelmäßige Neufestsetzung der ortsüblichen Vergleichsmieten die Mietpreiserhöhungen festgeschrieben und zum Standard für alle Mieten erhoben.
Indirekt tragen also die Mietenspiegel zu den Mietpreissteigerungen bei.
Früher war die Erhebung der Daten für die behördlichen Mietenspiegel auf die vergangenen vier Jahre bezogen. Seit dem 1.1.2020 gilt eine Periode von sechs Jahren. Auch der Hamburger Mietenspiegel, der 2021 neu herausgegeben wird, bezieht sich daher erstmals auf sechs statt bisher vier Jahre. Die Bundesregierung plant, dass künftig qualifizierte Mietenspiegel nur alle fünf Jahre erscheinen; erst nach drei (bisher: zwei) Jahren soll er künftig mit einem vereinfachten Verfahren fortgeschrieben werden.
Wie kommen die Statistiker an die Daten?
Die Daten stammen aus Befragungen von Mietern und Vermietern. Mit der Ermittlung wird regelmäßig die Firma F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH beauftragt. 2017, also im letzten Fall einer Neuerhebung, wurden von über 500.000 ermittelten Mietwohnungen 151.900 Zufallsstichproben gezogen. Von ihnen wurden nach einer ersten Prüfung und Auswahl kurze Fragebögen an 120.000 Mieter geschickt, um in einer Vorauswahl (Screening) festzustellen, ob die gesuchten Kriterien zutrafen. Es gingen 21.390 Antworten ein. In 3871 Fällen wurden daraufhin persönliche Interviews geführt.
Bei den Vermietern wurden aus jenen der 120.000 Datensätze, für die noch keine Ergebnisse vorlagen, eine Stichprobe von 40.000 Wohnungen erhoben, aus denen 16.510 für den Mietenspiegel relevante Daten ermittelt werden konnten. Dazu wurden die Vermieter entweder schriftlich befragt oder – bei großen Gesellschaften – Informationen aus Datenbanken gezogen. Zur Absicherung gab es Plausibilitätskontrollen und zusätzliche Kontrollbefragungen. Bei der Auswahl der Datensätze spielte auch die Absicht eine Rolle, später für alle 81 Felder des Mietenspiegels (mit der Differenzierung nach Baualter, Ausstattung und Wohnlage) ausreichende Datenmengen zu erhalten.
Aus den 20.291 Datensätzen von Mietern und Vermietern wurden nochmals diejenigen herausgenommen, die den Kriterien (Mieterhöhung oder Neuabschluss) nicht entsprachen oder aus anderen Gründen ausfielen. Dazu gehörte auch die Entfernung von völlig untypischen Werten („Ausreißer“). In den Mietenspiegel eingeflossen sind letztlich 11.688 Fälle, deren Werte die Grundlage für die Ermittlung der Mietspannen in den Feldern des Mietenspiegels bildeten. Felder, für die weniger als 10 Daten zur Verfügung standen, blieben im Mietenspiegel leer. Felder mit weniger als 30 Daten wurden besonders kenntlich gemacht.
Die „Fortschreibung“ des Mietenspiegels im Jahr 2019 war eine Kombination aus einer Nachbefragung von Mietern und Vermietern, die sich 2017 dazu bereit erklärt hatten (betr. ca. 12.000 Wohnungen), und einer reduzierten Neuerhebung. Das methodische Verfahren verlief analog zum Vorgehen bei der Evaluierung 2017. Für die Neuerhebung wurde aus den ca. 550.000 ermittelten Wohnungen eine Zufallsstichprobe von 40.000 Datensätzen gezogen. Mit der Nachbefragung zusammen ergaben sich aus der Vorauswahl bei den Mietern 13.180 Rückmeldungen, von denen 1829 für Interviews ausgewählt wurden. Bei den Vermietern blieben aus den zur Verfügung stehenden Daten (6200 aus einer Stichprobe, 8415 aus der Nachbefragung) nach einer Datenbereinigung 7789 Datensätze übrig. Nach weiteren Bearbeitungsschritten flossen davon 4752 in den Mietenspiegel ein. Ob diese Zahl – weniger als ein Prozent – wirklich ein belastbares Ergebnis für die 81 Felder des Mietenspiegels 2019 und alle Hamburger Mietwohnungen bietet, erscheint durchaus fraglich.
Wie kommt es zu den großen Unterschieden zwischen dem Mietenspiegel der Stadt und anderen Erhebungen, z. B. vom Gymnasium Ohmoor und von kommerziellen Einrichtungen?
Das Gymnasium Ohmoor veröffentlicht seit 1986 jährlich im Frühjahr die etwa zweimonatigen Erhebungen eines Oberstufenkurses. Früher wertete man dazu Zeitungsanzeigen aus, neuerdings übernimmt man die Daten des Onlineportals Immonet.de. Einbezogen werden also die Angebote, nicht die Abschlüsse. Es handelt sich weit überwiegend um Neuvermietungspreise, oft Neubauten. Letztere sind in der Regel die höchsten, die es auf dem Markt gibt. Die Schüler*innen des Gymnasiums Ohmoor erfahren kaum etwas von Mieterhöhungen in Bestandswohnungen. Auch wenn neu vermietete Wohnungen ohne Anzeigen an Interessenten vergeben werden, gelangen die Daten nicht in die Erhebung. Daher liegen die ermittelten durchschnittlichen Angebotsmieten in den Übersichten des Gymnasiums Ohmoor immer weit über denen des behördlichen Mietenspiegels. Für 2019 ermittelte die Behörde z.B. für Hamburg einen Durchschnittswert von 8,66 € pro Quadratmeter, das Gymnasium Ohmoor dagegen von 13,24 €. Den kommerziellen Mietspiegeln (z.B. wohnungsboerse.net) liegen vermutlich analoge Verfahrensweisen zugrunde; ihre Ergebnisse sind meist ähnlich hoch wie die des Gymnasiums Ohmoor.
PRO und CONTRA Mietenspiegel.
Obwohl die Mietenspiegel indirekt zu den Mietpreissteigerungen beitragen, sind die Mietervereine froh, dass es sie gibt. Die vorherige Praxis war ungleich schlechter. Bis Ende der siebziger Jahre wurden, wenn Mieter sich gegen zu hohe Mieten wehren wollten, für Gerichtsverfahren oft teure Gutachten erstellt, deren Kosten die Verlierer des Verfahrens tragen mussten. Dies Risiko stand in der Regel in keinem vernünftigen Verhältnis zu der monatlichen Mieterhöhung. Die „ortsübliche Vergleichsmiete“ ist heute eine vor Gericht fest anerkannte Bezugsgröße, auf die Mieter sich berufen können.
Könnte Hamburg im Alleingang die Erhebungsmethode für die „ortsüblichen Vergleichsmieten“ ändern, um nicht indirekt zu der Erhöhung der Mietpreise beizutragen?
Die Grundlage für die Ermittlung der „ortsüblichen Vergleichsmieten“ ist im Bundesgesetz (BGB) wie oben beschrieben festgelegt. Die Stadt Hamburg kann davon also nicht abweichen. Allerdings gäbe es natürlich Wege, um diese Art von Mietenspiegel zu umgehen. Man könnte z.B. die Erhebungsmethode so ändern, dass auch die unveränderten Bestandsmieten einbezogen werden, und dann das Ergebnis nicht „ortsübliche Vergleichsmiete“, sondern anders nennen. Auch Verfahren wie in Berlin sind denkbar, wo zur Zeit mit dem „Mietendeckel“ versucht wird, die Mieten auf bezahlbarem Niveau zu halten. Sollte das für das Frühjahr 2021 erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Berliner Regelungen im Wesentlichen für rechtens erklären, könnte man auch in Hamburg einen befristeten Mietendeckel oder Mietenstopp beschließen. Zum Beispiel könnte die Bürgerschaft ähnlich wie im Mietenspiegel differenziert nach Baualter, Wohnfläche und anderen Faktoren statt der erlaubten Mietspannen Höchstwerte nennen, die für eine bestimmte Zahl von Jahren nicht überschritten werden dürfen. Eine Kampagne für einen solchen Mietenstopp haben kürzlich der Deutsche Mieterbund, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Paritätische Gesamtverband und andere Träger vorgestellt (siehe dazu die Meldung im Nachrichtenteil des Newsletters).
Illustration: Eine Abb. des letzten Mietenspiegels; eine der Abb. des Gy. Ohmoor