Hamburg baut falsch
Neubauten im Baakenhafen (Jan.2021)
Durchschnittlicher Kaufwert baureifen Landes je qm.
Quelle: Statistikamt Nord
Voller Stolz verkündeten Bürgermeister Tschentscher und Stadtentwicklungssenatorin Stapelfeldt am 27. Mai die neusten Erfolge der Hamburger Wohnungsbaupolitik: Im Jahr 2020 wurden 11.269 Wohnungen fertiggestellt – 15 % mehr als im Vorjahr. Es ist der höchste Wert seit Mitte der 1970er Jahre. Bei 3472 handelt es sich um geförderte Wohnungen (1. und 2. Förderweg) mit Mietpreis- und Belegungsbindung; das ent- spricht 30,8 %.
Doch die Erfolgsmeldung täuscht. Der Anteil der geförderten Wohnungen lag auch in den vergangenen Jahren bei etwa 30 %. Umgekehrt bedeutet dies: Bei rund 70 % der Wohnungen handelt es sich um frei finanzierte Miet- und Eigentums- wohnungen, die in der Regel sehr teuer sind. Es fehlen vor allem günstige Wohnungen. In Hamburg hatten 2019 ins- gesamt 454.000 Haushalte ein so geringes Einkommen, dass sie eine Berechtigung für eine geförderte Wohnung besaßen, davon 368.000 für eine Wohnung des ersten Förderwegs. In den 1970er Jahren gab es in der Hansestadt noch 400.000 Sozialwohnungen, heute sind es ca. 75.600. Die Zahl wird in den nächsten Jahren trotz der Neubauten kaum steigen, weil Jahr für Jahr viele aus der Mietpreisbindung herausfallen – allein 2020 über 6000 Wohnungen.
Eine Ursache der falschen baulichen Entwicklung ist die Hamburger Grundstückspolitik. Bodenspekulation hat in den vergangenen Jahren zu steil ansteigenden Grundstückskosten geführt. Seit 2012 haben sich die Preise mehr als verdoppelt. Um dieser Entwicklung zu begegnen, hatte der Senat ange- kündigt, künftig Baugrundstücke vor allem im Erbbaurecht zu vergeben und nur in Ausnahmefällen zu verkaufen. Doch den Worten folgten kaum Taten. Am 11. Mai teilte die Kommission für Bodenordnung mit, dass sie 2020 den Verkauf von Bau- grundstücken für 963 Wohneinheiten beschlossen habe. Im gleichen Jahr wurden dagegen nur fünf Grundstücke neu im Erbbaurecht zur Verfügung gestellt.
Der Grund und Boden der Stadt Hamburg ist begrenzt. Flächen, die verkauft wurden, werden möglicherweise in Zukunft fehlen. Wenn es künftig darum geht, weitere Woh- nungen oder soziale Einrichtungen zu planen, muss die Stadt sie unter Umständen sogar teuer zurückkaufen.
Von den 963 von der Bodenkommission verkauften Woh- nungen waren 902 für den Geschosswohnungsbau vorge- sehen, davon 57 % für den öffentlich geförderten Wohnungs- bau. Besser wäre es gewesen, die Stadt hätte die Grundstücke behalten und zu 100 % für den sozialen Wohnungsbau vorge- sehen. Die Stattbau GmbH, die bereit ist, Wohnungen für 6,80 €/qm Miete zu errichten, klagt darüber, dass sie sich verge- bens um Baugrundstücke bemüht hat. Nach Angaben ihres Geschäftsführers Schäfer vergab die Stadt 2020 nur drei Grundstücke direkt an soziale Investoren, dagegen 71 zum Bau von Eigenheimen. Einen Grund dafür sieht er darin, dass der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) für die Stadt Gewinne erwirtschaften soll. 65 Millionen Euro waren es im vergangenen Jahr.
Hamburg braucht dringend einen Kurswechsel in der Woh- nungsbaupolitik. Der Sozialverband Deutschlands fordert angesichts des großen Bedarfs in Hamburg seit langem den Neubau von mindestens 5000 Sozialwohnungen pro Jahr. Wie der Verband kürzlich in seiner „SoVD-Depesche“ feststellte, sollten diese überall in der Stadt gebaut werden, „nicht nur dort, wo die Armut sowieso schon zuhause ist“.
Die Stattbau GmbH ist zu ähnlichen Einschätzungen gelangt. Der frühere Geschäftsführer Behrens forderte in der Maiaus- gabe des Straßenmagazins Hinz & Kunzt mindestens 50 % Sozialwohnungen im Neubau und längere Preisbindungen. Die Stadt solle die Grundstücke dafür unmittelbar sozialen Inve- storen anbieten. Bei fremden Grundstücken müsse sie klare Vorgaben für die Investoren festschreiben.
Immerhin ist festzustellen, dass es hier und da lobenswerte Tendenzen gibt. Dies betrifft z.B. die Ausübung des Vorkaufs- rechts bei Wohnungsverkäufen mit dem Ziel, Umwandlungen in Eigentumswohnungen zu verhindern. Die Kommission für Bo- denordnung hat 2020 in 20 Fällen der Ausübung des Vorkaufs- rechts in Gebieten der Sozialen Erhaltungsverordnung zuge-stimmt. Tatsächlich ausgeübt wurde es dann aber nur in 9 Fällen, da mehrere Käufer Abwendungsvereinbarungen zu- stimmten, die Mieterschutz garantierten, oder vom Kauf zurücktraten. Auch hier hat die Stadt aber noch große Hand- lungsspielräume. Sie könnte erheblich stärker eingreifen.
Auch das neue Baulandmobilisierungsgesetz, das am 4. Mai vom Bundestag und am 28. Mai vom Bundesrat beschlossen wurde, geht in die richtige Richtung. Es soll Kommunen mehr Flexibilität bei Bebauungsplänen bieten, die staatlichen Vor- kaufsrechte stärken, die Umwandlung von Miet- in Eigen- tumswohnungen erschweren und es ermöglichen, Wohnungs- bau auf brachliegenden Grundstücken zu erzwingen. Das Gesetz gilt nur in Gebieten mit angespanntem Wohnungs-markt. Alle Regelungen sind zeitlich befristet. Allerdings wird das Gesetz nicht ausreichen, das Ansteigen der Bodenpreise und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen überall zu stoppen.
Sozialverband Deutschlands, Hamburg, Newsletter 05/21; Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Statistik informiert…, Nr. 72/2021 v.27.5.21; Pressemitteilung der Stadtentwicklungsbehörde v.27.5.21 (https://www.hamburg.de/ bsw/15090206/2021-05-27-bsw-hoechstwert-im-wohnungs-
bau/); Kommission für Bodenordnung, Pressemitteilung zum Jahresbericht 2020 v.11.5.21 (https://www.hamburg.de/presse- archiv-fhh/15055584/2021-05-11-fb-kommisssion-fuer-boden- ordnung-beschliesst-grundstuecksgeschaefte-fuer-rund-1000-wohnungen/); Bericht der Kommission für Bodenordnung für das Jahr 2020 (Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Drucksache22/4310 v.11.5.21); https://www.ndr.de/nachrich- ten/hamburg/Nur-60-Prozent-Sozialwohnungen-auf-ehema- ligem-Stadtgrund,wohnungsbau440.html; Hamburger Abendblatt v.20.5.21; https://www.mieterbund.de/presse/ pressemeldung-detailansicht/article/62287-grosse-koalition-einigt-sich-auf-reform-des-baugesetzbuchs.html; „Es geht um den sozialen Frieden“, in: Hinz & Kunzt, Nr. 339, Mai 2021, S.10-15.